"*[*Crossroads*](https://www.flickr.com/photos/tschloss/4696862506/)*"
von Thomas Schlosser ist lizenziert unter einer *[*CC-BY 2.0
Lizenz*](https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)*.

Crossroads” von Thomas Schlosser ist lizenziert unter einer *CC-BY 2.0 Lizenz*.

Programmierende Geisteswissenschaftler*innen und Informatiker*innen sind auf dem wissenschaftlichen Arbeitsmarkt sehr gefragt - jedenfalls suggerieren das die zahlreichen Stellenausschreibungen in denen neben geisteswissenschaftlicher Grundausbildung auch immer mehr explizite Programmierkenntnisse gefordert werden. Das klingt nach goldenen Zukunftsaussichten, besonders für Absolvent*innen der in ganz Deutschland aus dem Boden sprießenden Digital-Humanities-Studiengänge.

Auch eine Selbsteinschätzung der Teilnehmer*innen des ersten DH-RSE Workshops deutet klar in diese Richtung: Mehr als die Hälfte der Gruppe schätzte die Nachfrage der eigenen Kompetenzen auf dem Arbeitsmarkt als hoch bis sehr hoch ein. Interessanterweise zeigte sich in der Umfrage aber auch, dass der überwiegende Teil der der Gruppe zwar zufrieden mit der aktuellen beruflichen Stellung ist, die Wahrscheinlichkeit einer Beförderung und somit ein karrieretechnisches Vorankommen aber eher gering einschätzt (https://dh-rse.github.io/dhd-workshop-2018-presentation/#/step-23).

Wie sieht also die Situation der wissenschaftlichen Softwareentwickler*innen (RSEs) in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft derzeit tatsächlich aus? Gelingt die Integration in das Team geisteswissenschaftlicher Fachkolleg*innen, und gibt es vergleichbare Möglichkeiten zur persönlichen und beruflichen Weiterqualifizierung, oder werden RSEs zu Dienstleistenden der Digitalen Geisteswissenschaften degradiert? Wie könnten Situation und Anerkennung von Softwareentwickler*innen in den digitalen Geisteswissenschaften zukünftig generell verbessert werden? Im Folgenden stellen wir das Ergebnis unseres Brainstormings im Rahmen des Workshops vor, in dem wir - aus unserer Erfahrung - wesentliche Probleme der Situation von RSEs im wissenschaftlichen Prozess festgehalten haben und dazu jeweils Strategien vorschlagen, wie die Anerkennung der RSEs nachhaltig verbessert werden kann.

Problembeschreibungen

Mangelnde Augenhöhe

Die Kommunikation zwischen Fachwissenschaftler*innen und RSEs ist bisweilen schwierig und von Missverständnissen geprägt. Häufig werden die Entwickler*innen im Rahmen von Projekten nur als Dienstleister*innen wahrgenommen. Im Fokus steht ihre Aufgabe, Software für einen konkreten Forschungskontext zu entwickeln. Dabei gerät in den Hintergrund, dass die meisten RSEs eine fachwissenschaftliche Ausbildung in den Geisteswissenschaften besitzen und ihre entwicklerischen Fähigkeiten als Zusatzqualifikationen erworben haben. So gesehen sind viele DH-RSEs vollwertige Fachwissenschaftler*innen, die das Software Engineering als eine von mehreren Methoden in ihrem wissenschaftlichen Repertoire führen; als eben solche sollten sie auch selbstbewusst auftreten. RSEs müssen auf Augenhöhe mit den nicht-programmierenden Fachwissenschaftler*innen zusammenarbeiten. Die fehlende Augenhöhe wird auch dadurch deutlich, dass RSEs häufig - sowohl (arbeitsvertraglich) de jure als auch de facto - keine Zeit zur eigenen wissenschaftlichen Weiterqualifikation eingeräumt wird und z. T. eine niedrigere tarifliche Eingruppierung als beim restlichen wissenschaftlichen Personal erfolgt.

Aber auch aus entgegengesetzter Perspektive äußert sich die unterschiedliche Augenhöhe: Da im Bereich der Softwareentwicklung eine starke Konkurrenz zur Privatwirtschaft besteht, werden für Entwickler*innen oftmals volle Stellen ausgeschrieben und besetzt, während sich andere geisteswissenschaftliche Doktorand*innen meistens mit Teilzeitstellen zufrieden geben müssen. Auch hierdurch kann innerhalb des Projektteams ein Ungleichgewicht entstehen.

Dass RSEs zumeist über langjährige Erfahrung in der DH-Projektarbeit verfügen und durch ihren so erweiterten Horizont eben auch als Geisteswissenschaftler*innen mit anderen Sichtweisen zum generellen Gelingen der Projekte beitragen könnten, wird allzu oft ignoriert.

Zeitmangel

Aus der fehlenden Zeit für die eigene wissenschaftliche Weiterqualifizierung resultiert ein generelles Zeitproblem, dass sich den RSEs in ihrer täglichen Arbeit stellt: Als Fachwissenschaftler*innen stehen auch sie unter dem hohen Druck, ihre Forschungs- und Arbeitsergebnisse in einschlägigen Zeitschriften zu publizieren, doch ist für diese Tätigkeit innerhalb der Projekte meist keine Zeit vorgesehen. Zugleich sind die RSEs einem großen Zeitdruck innerhalb ihrer Forschungsprojekte ausgesetzt, da sie die für das Projekt benötigten Softwarekomponenten immer fristgerecht entwickeln und implementieren müssen, um den Projekterfolg insgesamt nicht zu gefährden. Der Druck, für das Projekt z. B. bestimmte Funktionalitäten zügig zu implementieren sowie die Unkenntnis von Projektleiter*innen im Bereich der Softwareentwicklung können außerdem dazu führen, dass Aspekte wie eine ordentliche Dokumentation der Software und andere Maßnahmen des Qualitätsmanagements unberücksichtigt bleiben. Auch die Umfrage innerhalb des DH-RSE Workshops zeigt dieses Problem deutlich auf: Lediglich in knapp 30% der Projekte aus dem Kreis des Workshops existiert ein Übergabeplan für die entwickelte Software. Die Teilnehmer*innen schätzten zudem die Qualität von Forschungssoftware in den Geisteswissenschaften als mittel bis schlecht ein (https://dh-rse.github.io/dhd-workshop-2018-presentation/#/step-20). Die gedankliche-hermeneutische Leistung, die hinter einer konkreten Implementierung steht, kann aus Zeitgründen also oft nicht hinreichend schriftlich fixiert werden, dass sie als Grundlage für Publikationen und / oder Qualifikationsarbeiten genutzt werden könnte.

Fehlende Publikationsmöglichkeiten

Ist es den RSEs dennoch gelungen, sich die (Frei-)Zeit für die Vorbereitung einer Publikation zu nehmen, ergeben sich weitere Probleme. Wo soll der Beitrag publiziert werden? An welche Fachcommunity richtet er sich? Hier stehen viele RSEs vor dem Grundproblem, dass ihre Beiträge für die Publikationsorgane der jeweiligen Anwendungsdomäne zu technisch sind, für Zeitschriften aus der Informatik hingegen zu anwendungsbezogen. Insbesondere fehlt es noch an hinreichenden Publikationsmöglichkeiten, die sich zwischen den klassischen geisteswissenschaftlichen Zeitschriften und jenen der Informatik bewegen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die bereits 2016 publizierte Studie des Software Sustainability Institutes: “Research software should be recognised as a valuable research object in line with the investment it receives and the research it makes possible [...] Research software should become a citable scientific deliverable of equivalent value to researchers as that of a publication” (Hettrick 2016, S. 11). Einige interdisziplinäre Zeitschriften im Kontext der Digital Humanities existieren bereits, die hier Optionen darstellen. Dabei stellt sich - wie in vielen interdisziplinären Kontexten - die Frage, ob diese Publikationen für die weitere Karriere in der ursprünglichen Fachcommunity überhaupt anerkannt werden, oder ob die RSEs hier sprichwörtlich zwischen allen Stühlen sitzen.

Unklare Karrierewege

Mit den problematischen Publikationsmöglichkeiten ist die grundsätzliche Frage nach den Karrierewegen von RSEs bereits angesprochen worden. Welche Möglichkeiten ergeben sich nun für diese Gruppe? Prinzipiell stehen die RSEs vor dem Dilemma, dass sie zwar gesucht und ihre Fähigkeiten stark nachgefragt werden, allerdings unklare Perspektiven jenseits der Softwareentwicklung in Forschungsprojekten bestehen. Grundsätzlich sollten RSEs als Fachwissenschaftler*innen angesehen werden und entsprechende Möglichkeiten haben, sich auch in Richtung einer Professur zu entwickeln. Dabei steht ihnen oft das disziplinäre Schubladendenken im Weg: für eine Professur in der Informatik sind sie nicht ausgewiesen, für eine Professur in einer bestimmten geisteswissenschaftlichen Disziplin zu technisch orientiert oder generell nicht breit genug aufgestellt, für eine Professur in den Digital Humanities möglicherweise zu sehr auf eine Fachdisziplin bezogen.

Zu der skizzierten Problematik gesellt sich die allgemeine Geringschätzung, die Softwareentwicklung als (geistes-)wissenschaftlicher Leistung entgegengebracht wird. Hier müssen Forschungsförderer noch stärker auf der Dokumentation von Software bestehen sowie Maßnahmen der Qualitätssicherung einfordern und damit auch zur Anerkennung von wissenschaftlicher Softwareentwicklung beitragen. Dies wird mittelfristig nicht nur die persönlichen Karrieremöglichkeiten von RSEs verbessern sondern auch zu einer gesteigerten Nachhaltigkeit geisteswissenschaftlicher Forschungssoftware führen: “Access to software experts will increase the sustainability of software developed within academia. But until there is a career path into which these experts can be hired, academia will continue to experience serious problems attracting and retaining software experts” (Hettrick 2016, S. 15).

Lösungsstrategien

Um die skizzierten Probleme zu lösen, bedarf es struktureller Veränderungen im Wissenschaftssystem; aber auch auf persönlicher Ebene lässt sich ansetzen. So sollten RSEs, sofern sie sich als Fachwissenschaftler*innnen sehen, dies auch klar und selbstbewusst kommunizieren und einfordern. Strukturell sollte in Projekten darauf geachtet werden, dass diese Gleichstellung auch in den Arbeitsverträgen und im Projektplan verankert wird und den RSEs entsprechende Zeit für die eigene wissenschaftliche Weiterqualifizierung eingeräumt wird. Ferner sollten Projektleiter*innen ihre RSEs auch ermuntern, ihre Arbeit in Form von Dokumentationen, Präsentationen und Publikationen zu veröffentlichen, bzw. sollten RSEs entsprechende Möglichkeiten einfordern. Um die Publikationsmöglichkeiten im Bereich der wissenschaftlichen Softwareentwicklung zu verbessern, müssen neue Zeitschriften sowie alternative Formen (z. B. wissenschaftliche Blogs) gegründet und eingerichtet werden; traditionelle Zeitschriften sind aufgerufen zu überlegen, ob eine Erweiterung ihres Spektrums in diese Richtung nicht lohnend erscheinen könnte. Ebenso wichtig ist es aber, dass wissenschaftliche Software selbst als Publikationsform etabliert wird. Daher sollten RSEs ihre Arbeiten publizieren (mit DOI etc.) und alle Wissenschaftler*innen sollten die Software, die sie nutzen entsprechend zitieren und ihnen damit einen größeren Wert beimessen. Letztendlich tragen alle diese Aspekte dazu bei, die Karrierechancen für RSEs zu verbessern - hier braucht es aber nicht zuletzt auch mehr verlässliche Dauerstellen an den Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen, auf die es sich lohnt als RSE hinzuarbeiten.

Referenzen

Hettrick, Simon. 2016. “Research Software Sustainability: Report on a Knowledge Exchange Workshop”. http://repository.jisc.ac.uk/6332/.